„Qualitätsjournalismus und Populismus sind natürliche Todfeinde.“

Der neue Journalismus-Report ist erschienen und liefert soziodemografische Details über Österreichs Medienmacher*innen. Erstellt hat die umfassende Studie ein Forschungsteam des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (Österreichische Akademie der Wissenschaften und Universität Klagenfurt) gemeinsam mit dem Medienhaus Wien. Kommunikationsforscher Matthias Karmasin spricht im Interview über den Rückgang journalistischer Arbeitsplätze, den Gender Pay Gap und die Unabhängigkeit der Medien.

Der österreichische Journalismus-Report bietet statistische und repräsentative Daten zur Situation von Journalist*innen in Österreich. Entstanden ist er in einem gemeinsamen Forschungsprojekt vom Medienhaus Wien und dem Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Neben der Basisdatenerhebung hat das Forschungsteam über 500 repräsentative Interviews geführt und Journalist*innen über ihre Haltung zu Objektivität, Meinungsfreiheit, Blattlinie und Arbeitsbedingungen befragt.

„Der große Vorzug dieser Studie ist, dass wir sowohl die Grundgesamtheit beschreiben, als auch genaue Angaben über die Repräsentativität der Stichproben machen können. Das ist Grundlagenforschung im besten Sinn“, sagt Matthias Karmasin, Kommunikationsforscher und Direktor des ÖAW-Instituts. Über die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Erhebung, erzählt er im Interview.

Herr Karmasin, der neue Journalismus-Report liefert Daten zur beruflichen Situation von Journalist*innen in Österreich. Wie sieht der statistische Prototyp aus?

Matthias Karmasin: Aus der Basisdatenerhebung wäre der Prototyp im österreichischen Journalismus ein Mann, Mitte 40. Er hätte keinen akademischen Abschluss und würde bei einem Printmedium in Wien Vollzeit arbeiten.

Stichwort Vollzeit: Sie schreiben, dass die Redaktionen personell ausgedünnt werden. Wie hat sich die Situation im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2006 verändert?

Karmasin: Die journalistischen Arbeitsplätze sind stark zurückgegangen im Vergleich zu 2006. Damals gab es noch 7.067 fix angestellte Journalist*innen, heute sind es nur mehr 5.346. Das hat natürlich mit den Veränderungen in der Branche zu tun: Die meisten Arbeitsplätze gingen im Printjournalismus verloren, rund 1.500, während der Rückgang in Radio und TV geringer war.

Die Redaktionen schrumpfen. Gleichzeitig entscheiden sich immer mehr Menschen, eine journalistische Ausbildung zu machen. Wie passt das zusammen?

Karmasin: Studierende der Kommunikationswissenschaft haben sehr gute Beschäftigungschancen, allerdings eher nicht im Kernbereich des klassischen Journalismus, sondern in den Bereichen PR, Medienberatung, politische Kommunikation, Corporate Publishing. Diese Bereiche sind stark im Wachsen. Das sieht man, wenn man zum Beispiel die Wirtschaftsredaktionen mit den PR-Abteilungen in großen Unternehmen vergleicht oder die innenpolitischen Redaktionen mit den PR-Stäben im Bundeskanzleramt und in den Ministerien. Im Sinne der Kontrollfunktion, die Journalismus zukommt, also im Sinne einer vierten Gewalt, schafft diese Entwicklung eine enorme Schieflage zu Ungunsten der unabhängig arbeitenden Redaktionen. Die Frage was das für demokratiepolitische Folgen haben könnte, drängt sich schon auf.

Im Bericht von 2006 hieß es: Frauen im Journalismus sind jünger und besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen, verdienen aber weniger. Ein Trend, der sich weiter hält?

Karmasin: Ja, zusammenfassend kann man sagen: Journalistinnen sind jünger, besser ausgebildet, verdienen weniger und sind seltener in Leitungspositionen zu finden. Zwar ist der Gender Pay Gap im Journalismus geringer als in anderen Branchen, aber es gibt ihn – auch dann, wenn man die Teilzeitbeschäftigten rausrechnet. Dahingehend hat sich nicht viel verändert.

Wo sich hingegen etwas geändert hat, ist im Bereich der Akademisierung, vor allem Frauen sind mehrheitlich akademisch gebildet. Und was besonders spannend ist: Das Durchschnittsalter der Journalist*innen liegt bei 44,5 Jahren. Ein gutes Drittel ist älter als 50 Jahre. Das ist für die Branche eine besorgniserregende Entwicklung.

Wie wirkt sich diese Überalterung aus?

Karmasin: Die Altersstruktur des österreichischen Journalismus hat beispielsweise eine Konsequenz in Bezug auf Digital Storytelling. Das zeichnet sich deutlich in unseren Daten ab. Während in skandinavischen Ländern 80 Prozent der Journalist*innen für digitale Medienkanäle arbeiten, trifft das in Österreich nur auf 40 Prozent zu. Stichwort Digital Native: Digitale Prozesse sind von Menschen dieser Alterskohorte schwieriger abzubilden als von Jüngeren. Hinzu kommt, dass jüngere Journalist*innen, obwohl sie formal besser gebildet sind, zunehmend weniger Möglichkeiten vorfinden, um Vollzeit zu arbeiten.

Apropos Digital Native: Wie haben die sozialen Medien den Berufsalltag von Journalist*innen verändert?

Karmasin: Hier gibt es den zeitgeistigen Begriff des Process Journalism. Früher war die Geschichte fertig, wenn die Zeitung in Druck ging. Heute ist eine Geschichte oft erst der Anfang, denn im Online-Journalismus gibt es keinen Redaktionsschluss: Durch die Feedbackfunktion in diesem Bereich stellen Poster weitere Links in ihre Kommentare und Artikel werden upgedatet. Soziale Medien, Digitalisierung und verändertes Rezeptionsverhalten haben die Arbeit der österreichischen Journalist*innen verändert. Aber unsere Daten zeigen: im internationalen Vergleich in einem eher geringeren Ausmaß.

Was die negativen Seiten dieser Unmittelbarkeit angeht, etwa hinsichtlich Shitstorms und Hate Speech, von der oft Journalistinnen betroffen sind, haben Redaktionen leider nur begrenzte Möglichkeiten. Vielmehr ist es Aufgabe der politischen Rahmenordnung, hier einzugreifen. Aber das hat auch mit der Frage zu tun, welche Haltung eine Gesellschaft gegenüber Journalist*innen einnimmt – und ob man versucht Journalismus politisch zu instrumentalisieren. Etwa, wenn man Investigativjournalismus erschweren möchte, indem man sagt, es würden ohnedies nur Falschmeldungen verbreitet. Oder, indem man Daten nicht öffentlich macht und sich den Fragen der Journalist*innen gegenüber respektlos verhält. Diese Tendenz beobachten wir immer wieder. Dahinter steht wohl auch, dass Qualitätsjournalismus und Populismus natürliche Todfeinde sind.

Was haben Sie in den Interviews bezüglich der Haltungen herausgefunden?

Karmasin: Ein Befund ist, dass sich die Zunahme der Ethikkodexe in den Redaktionen positiv auswirkt. Es haben sich die Einstellungen geändert. Eine Frage, die ich in meinen Studien seit 1994 stelle, ist: Sind Sie in Ihrem Beruf zu Handlungsweisen gedrängt, durch die Sie mit Ihrem Gewissen in Konflikt geraten? 2004 haben noch 36 Prozent mit „ja“ geantwortet, 2008 waren es 27 Prozent. In der vorliegenden Studie sagen 80 Prozent „nie“ und 20 Prozent kreuzen „manchmal“ an.

Eine andere Zahl: Auf die Frage, wie man die politische Ausrichtung des eigenen Mediums einordnen würde, antworten 44 Prozent mit „weder noch“. 13 Prozent geben „eher rechts“ und 16 Prozent „eher links“ an. Das wird relativ ausgewogen eingeschätzt und spricht für das Bemühen ausgewogen und präzise zu berichten.

Und was folgt daraus?

Karmasin: Insgesamt könnten unsere Daten auch eine Grundlage für eine qualitätsorientierte Medienförderung sein, weg von der Vertriebsförderung hin zu einer Förderung von Qualität und einer Förderung journalistischer Arbeitsplätze. Die Daten des Journalismusreports bieten auch eine solide Grundlage für evidenzbasierte Medienpolitik.

Das Interview wurde von Christine Tragler (Österreichische Akademie der Wissenschaften) geführt und auf der Website der ÖAW veröffentlicht.

 

Zur Person und zur Studie

Matthias Karmasin ist Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW und stellvertrender Institutsvorstand des Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt. Er ist Mitglied der ÖAW und der Academia Europaea.

Die Studie ist kürzlich unter dem Titel „Der österreichische Journalismus-Report. Eine empirische Erhebung und eine repräsentative Befragung“ beim Verlag Facultas erschienen und wurde herausgegeben von Andy Kaltenbrunner, Renée Lugschitz, Matthias Karmasin, Sonja Luef und Daniela Kraus.