Die Chirurgia des Abulkasim
Abū l-Qāsim Chalaf ibn ʿAbbās − im Abendland auch als Abulcasis und Abulkasim bekannt − war ein andalusischer Arzt und Wissenschaftler arabischer Herkunft. Er in der Residenz des Kalifen Abd al-Rahman III (912–961), der das westliche Kalifat in eine kulturelle Hochblüte führte. In Cordoba studierte, lehrte und praktizierte er Medizin und Chirurgie und war Hofarzt der Kalifen. Er gilt als der bedeutendste arabischsprachige Arzt des Mittelalters, dessen umfangreiche medizinische Schriften die europäische Medizin bis zur Renaissance geprägt haben.
Als Resultat seiner 50-jährigen Erfahrungen als Lehrer, Ausbilder und praktizierender Arzt leistet er die Integration des griechisch-römischen antiken Wissens in die arabische Medizin. Im Kitāb at-Taṣrīf („Buch der Verordnungen“), seiner 30-bändigen medizinische Enzyklopädie, schreibt er über Chirurgie, Medizin, Augenheilkunde, Orthopädie, Pharmakologie, Ernährung, Zahnmedizin und Geburtshilfe.
In der arabischen Welt war der al-Tasrif bestens bekannt, dem lateinischen Abendland standen nur Teile in Übersetzungen zur Verfügung: Die Chirurgia, das 30. Kapitel des al-Tasrif, fand das größte Interesse und gilt als die bedeutendste Schrift auf dem Gebiet der Medizingeschichte des Frühmittalters. Sie wurde zur Basis des mittelalterlichen medizinischen Wissens in Europa, diente als Quelle für Ärzte und Chirurgen. Ihr Einfluss hielt etwa fünf Jahrhunderte an und erstreckte sich bis in die Renaissance.
Die in monastischen Zentren gepflegte Mönchsmedizin war geprägt von der christlichen Lehre vom Menschen als dem Ebenbild Gottes, an dem keine Änderungen durch chirurgische Eingriffe erlaubt waren. Diese Vorstellung hatte lange die Ausbreitung und fundierte Anwendung der Chirurgie verhindert. Dem Hochmittelalter gelang mit der Rezeption der Chirurgia endlich die Reform der Medizin durch Anreicherung mit neuem Wissen und mit zum Teil für die damalige Zeit revolutionären Methoden. Abulkasims Chirurgia ist damit das älteste und wichtigste Bindeglied zwischen der antiken griechischen, der praktischen arabischen Medizin und den europäischen hochmittelalterlichen Medizinzentren in Salerno Neapel, Padua und Montpellier.
Blätter 6 recto/7 verso
Abu’l Qasim Halaf Ibn Abbas al-Zahrauî (936–1009): Chirurgia.
Graz: Akademische Druck- und Verlags-Anstalt, 1979.
Signatur der UB Klagenfurt: FA III 493124
Die Handschrift entstand in der 2. Hälfte 14. Jh. und tauchte 1596 im Nachlassverzeichnis des Erzherzog Ferdinands von Tirol als Teil der Wunderkammer der Ambraser Sammlung auf. Seit 1936 ist sie an der ÖNB/Wien unter der Signatur Codex S.N. 2641.
Sie zeichnet sich durch reichen Bilderschmuck aus. Die großartige Illuminierung lässt auf eine bibliophile und nicht auf eine wissenschaftliche Gebrauchshandschrift schließen.
Blatt 3 recto
Die lateinische Fassung verdanken wir Gerhard von Cremona (1114 – 1187), bekannt für Übersetzungen philosophischer, astronomischer, mathematischer und astrologischer Schriften aus dem Griechischen und Arabischen. (Er wird namentlich in der zweiten Zeile genannt).
Seine Übersetzung hielt sich exakt ans arabische Original und bemühte sich in Umschreibungen und Wortableitungen um deutliche Darstellung der Instrumente und ihres Aussehens. Im Latinischen fehlende differenzierte Ausdrücke verblieben Arabisch oder wurden in eine latinisierte Form gegossen.
So bereichert der Text die mittellateinische Philologie mit reichem Vokabular an speziellen Ausdrücken, sowohl für die Medizin als auch für Realien und Materialien des mittelalterlichen Lebens im Orient und in Europa.
Blatt 1 recto: Inhaltsverzeichnis
In seinem Vorwort verlangt Abulkasim von Chirurgen ein fundiertes anatomisches Wissen über die Anatomie des menschlichen Körpers, der Lage der Nerven, Muskeln und Blutgefäße als Voraussetzung für chirurgische Eingriffe.
Es folgen die drei Kapitel über Glüheisentherapie (Kauterisation), Schnitte, Gynäkologie, Wundbehandlung, Aderlass, Einrichten und Behandlung von Frakturen und Luxationen.
Blatt 7 recto Detail Miniatur
Kauterisation bei Melancholie:
Vor einem Architektur- und Landschaftshintergrund kauert der Patient mit gekreuzten Armen und Beinen auf dem Boden. Vor ihm kniet der Arzt und leert aus einem Gefäß erwärmte Schafbutter auf die von einem Tuch kreisförmig eingefaßte kahle Stelle mitten am Kopf, wo sie bis zum Auskühlen belassen werden soll.
Blatt 9 verso 3
Drei Miniaturen: Kauteristation einer Halsgeschwulst, bei Heiserkeit der Stimme und Atemnot und bei Lungenkrankheiten und Husten
158 Illustrationen in roter und schwarzer Tinte und 68 Miniaturen bereichern die Handschrift; meist mit schmalen, in gegensätzlicher Farbe und Deckweißuntermischung plastisch schattierte Rahmen gefasst; gelegentlich mit Architekturteilen, sich bauschenden Vorhängen und Bäume im Hintergrund.
Blatt 11 recto
Drei Miniaturen: Kauterisation eines geschwollene Fußes, einens geblähten Bauches und von Hämorrhoiden
Der behandelnde Arzt ist immer in langem, wallenden, Kleid dargestellt. Die weiten Ärmel mit Goldborten, der Turban mit Goldstickerei und der Bart versinnbildlichen das Ansehen und die Würde.
Blatt 12 recto
Zwei Miniaturen: Kauterisation nach Entfernen von Fisteln und Warzen
Die Körperhaltung der Patienten und die Stellung der Glieder ist sehr realistisch dargestellt, ebenso psychische Zustände wie Angst und Schmerz
Blatt 12 verso
Drei Miniaturen: Kauterisation der Harnblase, der Gebärmutter und bei luxierter Hüfte
Die Patienten, Männer und Frauen, tragen Krankenhaushauben und Turbane, Knaben spitze, rote Mützen.
Blatt 41 recto
Fünf Miniaturen über den Geburtsvorgang mit Hebammen und Hebammenhilfen
Die Hebammenlehre beschreibt die Geburt als das elementarste und alltäglichste medizinische Ereignis
Blatt 43 recto Detail Miniatur
Entfernung der Fruchtblase, bzw. Nachgeburt:
In einem gotischen Interieur mit flacher Holzbalkendecke, vergittertem Fenster an der Rückwand und mit durchbrochenen Seitenwänden steht eine Frau mit gespreizten Beinen, die Hände auf die Oberschenkel gestützt und von hinten von einer Hebammenhelferin gehalten über einem Gefäß, in das die Nachgeburt fließt. Links daneben kniet die Hebamme und gibt mit ihren Händen Anweisungen.
Blatt 51 recto
Marginaler Kommentar um den Haupttext des Kapitels über die Amputation von Gliedmaßen und das Sägen von Knochen in Minuskelschrift
Blatt 54 recto
Anfang des Dritten Buches mit einem Kapitel über Extraktion von Pfeilen
Die Miniatur zeigt nicht die Behandlung sondern die Geschichte der Verletzung einer Frau durch einen Pfeil mitten in die Stirn
Blatt 62 verso Miniatur und Initiale
Die Miniatur zeigt auf blankem Pergamentgrund eine ungerahmte Szene auf steinigem Boden mit zwei großen Bäumen und ein von fünf Stangen getragenen, baldachinartiger Kuppel mit Kreuz:
Einem nackten, nur mit einer roten Kapuze bekleideten Knaben wird von einer seitlich am Boden vor ihm knienden Frau in der Beuge zwischen Hüfte und rechtem Bein die Haut gespannt und ein Blutegel aufgesetzt. Im sprudelnden Brunnen werden Blutegel frisch gehalten, bevor sie ausgehungert auf jene Körperteile angesetzt werden, an denen Aderlass oder Schröpfung nicht angewendet werden können, da das Gewebe zu dünn ist.
Blatt 76 verso Detail
Auf der Streckbank zum Einrichten von Frakturen, verrenkten Gliedern und dislozierten Rückenwirbeln liegt der Patient auf dem Bauch und hat die Arme eng an den Körper angelegt. Um seine Schultern ist ein Tuch geschlungen, dessen Enden unter den Achseln durchgeführt, vorne über der Brust fest zusammengedreht und am Holzbalken des Rahmens verknotet sind. Ebenso sind die Knöchel fixiert. Am Kopfende drehen zwei Assistenten die Hölzer der Winde zur Streckung des krummen Rückens des Patienten. Der Arzt drückt seine beiden Handflächen auf den Rücken des Patienten, wie im Text beschrieben.
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