Wer prägte die Volkswirtschaftslehre während des NS-Regimes? Und wer wurde geschädigt?
Ein neues Projekt, gefördert vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, geht den Protagonistinnen und Protagonisten der Nationalökonomie von 1930 bis 1950 auf die Spur. Damit soll eine Lücke in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus geschlossen werden.
„Wir wollen mehr über die Theoriegeschichte der Nationalökonomie lernen. Ein wichtiger Schritt dafür ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Nationalökonominnen und -ökonomen in der Zeit des Nationalsozialismus“, so Projektleiter Reinhard Neck (Institut für Volkswirtschaftslehre). Eine wichtige Frage dabei ist, ob bestimmte Richtungen der Nationalökonomie stärker als andere ihre Vertreterinnen und Vertreter veranlassten oder es ihnen ermöglichten, sich mit dem NS-Regime zu identifizieren und ihm zu dienen oder ihm andererseits Widerstand zu leisten oder vor ihm zu flüchten. Neck geht dabei von der Ausgangshypothese aus, dass Vertreterinnen und Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und des Austromarxismus im Allgemeinen weniger durch Elemente der NS-Ideologie und damit verbundene Positionen „infiziert“ wurden, während Anhängerinnen und Anhänger des NS-Regimes vielfach bereits vor und auch nach der Anschlussperiode für derartige Positionen anfällig waren. Neck erläutert weiter: „Dabei ergibt sich ein österreichisches Spezifikum durch die Existenz des Austrofaschismus als Ideologie und als diktatorisches Regime sui generis, da eine Reihe von österreichischen Nationalökonominnen und -ökonomen zwar Vertreter faschistischer Ideologien, aber zugleich Verfolgte des NS-Regimes waren.“
Bei der Untersuchung wird die Gruppe der österreichischen Nationalökonominnen und -ökonomen begrifflich relativ weit gefasst. Analysiert werden Unterstützer und Mitläufer des NS-Regimes, aber auch jene, die unter diesem Regime durch berufliche Diskriminierung, Vertreibung oder physische und psychische Gewaltanwendung geschädigt wurden. Gegenstand der Studie sind nicht nur Personen, die beruflich im heutigen Sinn in dieser Wissenschaft tätig waren, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Wissenschaften, die in einzelnen Arbeiten nationalökonomische Fragen behandelt haben.
Im Rahmen des Projekts arbeiten zwei Nationalökonomen und ein Historiker zusammen. Reinhard Neck fasst zusammen: „Wir streben neue Erkenntnisse zur Wissenschaftsgeschichte Österreichs wie zur Geschichte der österreichischen Nationalökonomie an. Dabei wollen wir Ergebnisse modifizieren, die auf Deutschland bezogen sind: Unsere Vermutung impliziert, dass die österreichischen Nationalökonominnen und -ökonomen klarer auch in ihrer theoretischen Ausrichtung in Faschismus-affine und Faschismus-immune unterschieden werden können, wobei allerdings nach den beiden in Österreich wirksam gewordenen Varianten des Faschismus differenziert werden muss.“