Unbequeme Wahrheiten „erzählen“
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften lädt von 4. – 5. April 2019 zum internationalen Symposium „Global Sustainable Development Goals in a Mediatized World“. Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin wird dabei die Session “Implementing the Agenda 2030 in a Mediatized World” leiten. Wir haben mit ihm im Vorfeld darüber gesprochen, wie die Medien die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele unterstützen können.
Was können Medien für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele tun?
In mediatisierten Gesellschaften wird die Frage, welche Prioritäten Gesellschaften setzen, über medial vermittelte Diskurse entschieden. Medien können ihre Themen gezielt setzen bzw. in einer bestimmten Form über aktuelle Entwicklungen berichten.
Tun sie das auch im Sinne der Nachhaltigkeitsziele?
Ein amerikanischer Medienhistoriker hat dazu gesagt: „Clima sceptisism has grown because of media coverage not in spite of media coverage.“ Er spricht damit an, dass die Tendenz der Medien, zuzuspitzen und zu skandalisieren, dazu beigetragen haben könnte, die Skepsis am Klimawandel zu befördern. Diese Art des Journalismus unterstützt mitunter, dass die Medienkonsumentinnen und –konsumenten verdrossen reagieren. Es ist anzunehmen, dass die Neuen Medien und Social Media hier einen besseren Dienst erweisen könnten. Damit wollen wir uns auch bei dem kommenden Symposium beschäftigen.
Wie steht es um die Glaubwürdigkeit der alten und neuen Medien in diesem Zusammenhang?
Die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise umfasst ja nicht nur Medien, sondern alle etablierten Institutionen wie auch die Wissenschaft und Universitäten. Das ist ein Merkmal unserer Zeit. Momentan kann auch breit in Frage gestellt werden, was wissenschaftlich völlig evident ist. Heute müssen wir uns aber mehr denn je fragen, wie wir eine Kommunikation in Gang bringen können, die die richtigen Entscheidungen auf allen Ebenen befördert: Die Makroebene der Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die die Individuen auf der Mikroebene dabei unterstützen, im Sinne von Nachhaltigkeitszielen zu handeln, also weniger Fleisch zu essen, weniger mit dem Auto zu fahren usw. Auch auf der Mesoebene der Unternehmen müssen wir uns fragen, wie wir eine Sichtweise auf die globale Perspektive befördern können: Es kann nicht mehr länger der Standortwettbewerb im Vordergrund stehen, wenn die Existenz des Planeten in Frage steht.
Inwiefern können neue Medien hierfür bessere Dienste leisten?
Wenn sie richtig genutzt werden, können sie viel in Bewegung bringen. Wir sehen beispielsweise viele lokale Initiativen, umfassende zivilgesellschaftliche Beteiligung und grassroots movements, deren Kommunikation stark von Sozialen Medien vorangetrieben wird. All diese können sehr viel verändern, aber wahrscheinlich wird das nicht reichen.
Wenn Menschen ihre Konsumentscheidungen „nachhaltig“ treffen, ruft das sofort die Unternehmenskommunikation auf den Plan. Plötzlich ist alles – glaubt man der Werbung – ökologisch, fair gehandelt und nachhaltig. Glauben Sie, dass solche Kommunikationsstrategien gut bei den Menschen ankommen?
Die Debatte um die CSR-Bewegung ist schnell bei den PR- und Brandingstrategien angekommen. Natürlich gibt es hier auch den Vorwurf des so genannten greenwashings, das versucht – manches Mal ohne inhaltliche Deckung – den Konsumentinnen und Konsumenten ein gutes Gewissen zu verkaufen. Ich glaube aber, dass es gleichermaßen Unternehmen gibt, die sich ernsthaft um Nachhaltigkeit und um eine Änderung der Unternehmensstrategie bemühen, auch wenn das die Produktionskosten steigert. Wie immer gibt es auch hier ein weites Feld. Der Diskurs wird auch hier auf allen drei Ebenen ausgetragen: Auf der Mikroebene können KonsumentInnen mit ihren Kaufentscheidungen Einfluss nehmen und die Makroebene kann ordnungspolitische Vorgaben machen, damit die Mesoebene, also die Unternehmen, in entsprechender Weise darauf reagieren.
Sind Konsumentinnen und Konsumenten in der mediatisierten Welt „mächtiger“?
Ja, die Mediatisierung macht es so leicht wie noch nie, Informationen zu Produkten – beispielsweise über entsprechende Apps – abzurufen und den Unternehmen auch öffentlich einsichtig Feedback zu geben. Auch Konsumboykotts sind heute schneller ausgerufen und breit aufgezogen als vor den digitalen Kommunikationsmöglichkeiten.
Wenn wir über Kommunikationsstrategien sprechen, sprechen wir heute mehr denn je über Storytelling. Warum ist Ihrer Ansicht nach die Nachhaltigkeits-Geschichte so schwierig zu erzählen und an den Mann und die Frau zu bringen?
Al Gore hat den Begriff der „inconvenient truth“ geprägt. Wir haben es hier mit zwei Schwierigkeiten zu tun: Die Wahrheit liegt uns heute wissenschaftlich evident vor, sie erlebt aber gleichzeitig eine schwere Krise. Zusätzlich ist die Nachhaltigkeitsgeschichte nicht nur eine, die von grünen Jobchancen und Standortvorteilen handelt, sondern auch von Verzicht und Umverteilung. Und wir werden nicht nur individuell verzichten müssen, sondern auch global umverteilen. Es handelt sich um eine unangenehme Geschichte, die sich in den medialen Verwertungszyklen nicht gut erzählen lässt.
Inwiefern kann die Wissenschaft unterstützen?
Sie muss noch lauter als bisher vermitteln, was wir als wahr im Sinne wissenschaftlicher Evidenz über den Zustand unseres Planeten wissen. Wir müssen gemeinsam die Geschichte von Verantwortung erzählen; von einer Verantwortung, die wir vor allem gegenüber zukünftigen Generationen haben. Dabei müssen wir auch mehr denn je die Welt als Gemeinschaft aller denken: Wenn die emerging economies weiter aufholen und die westliche Welt weiter in dem Maße Ressourcen verbraucht, wird sich das alles sehr bald nicht mehr ausgehen.
Zur Person
Matthias Karmasin ist Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität sowie Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften und der AAU und seit 2011 korrespondierendes Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW.
Matthias Karmasin ist Autor/Herausgeber von über 50 Büchern, hat mehr als 200 wissenschaftliche Aufsätze verfasst und mehr als 300 wissenschaftliche Vorträge im In- und Ausland gehalten.
Zur Veranstaltung
Die Mediatisierung formt öffentliche Diskurse und beeinflusst dadurch auch maßgeblich, wie die Agenda 2030 zur Erreichung der Global Sustainable Development Goals (SDGs) reflektiert, kritisiert und implementiert wird. Die Art und Weise der Kommunikation kann die Akzeptanz der SDGs fördern oder hemmen.
Welche Rolle spielt die Wissenschaft im Blick auf die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele? Die ÖAW lädt internationale Expert/innen der Kommunikations- und Bevölkerungswissenschaft, der Technik, Landwirtschaft und Umweltschutz ein, diese Frage zu diskutieren. Die zweitägige Konferenz „Global Sustainable Development Goals in a Mediatized World“ behält dabei die Gesamtperspektive – die Herausforderungen für den reicheren Norden sowie die globalen Probleme – im Blick. In den insgesamt sieben Sessions wird an der ÖAW erörtert, wie sich die mediatisierte Kommunikation auf Problembewusstsein, Bildungsziele und Erziehung auswirkt. Darüber hinaus werden die für die Agenda 2030 notwendigen Veränderungen in Landnutzung und Technologien sowie Fragen der Bevölkerungsentwicklung zur Sprache kommen.
4. – 5. April 2019 | Global Sustainable Development Goals in a Mediatized World
Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) | mit Grußworten von Anton Zeilinger (Präsident der ÖAW), Heinz Fischer (ehemaliger Bundespräsident der Republik Österreich), Martin Netzer (Generalsekretär im BMBWF), Josef Plank (Generalsekretär im BMNT). Weitere Informationen: https://www.oeaw.ac.at/sustainable-development2019/