Gesellschaftlicher Stoffwechsel | Foto: Soloviova Liudmyla/Fotolia.com

Der Stoffwechsel der Gesellschaft: Modellierung globaler Materialbestände und -flüsse

Realistische Prognosen des zukünftigen globalen Ressourcenverbrauchs stehen im Mittelpunkt eines aktuellen Projekts des Wissenschaftsfonds FWF. In diesem wird ein Modell entwickelt, das es erlaubt, globale Materialflüsse vom Aufkommen bis zur Entsorgung und Wiederverwertung im Zusammenhang mit Materialbeständen zu ermitteln.

Espressomaschine, Wasserkocher, Haarfön – Allein der durchschnittliche „Fuhrpark“ an Haushaltsgeräten erfordert große Mengen an Material und Energie. Aufbau und Betrieb von solchen und anderen „Materialbeständen“ treiben den globalen Ressourcenverbrauch an. So verbraucht die Weltbevölkerung am Beginn des 21. Jahrhunderts jährlich schon 68 Milliarden Tonnen an Materialien. „Der steigende globale Ressourcenverbrauch führt unseren Planeten an die Grenzen der Belastbarkeit. Um drastische Folgen für die Lebensqualität der Bevölkerung weltweit zu vermeiden, sind tiefgreifende umwelt- aber auch wirtschaftspolitische Maßnahmen erforderlich, die den gesellschaftlichen Stoffwechsel von der Ressourcenentnahme bis hin zu den resultierenden Abfällen und Emissionen deutlich verringern“, erläutert Fridolin Krausmann vom Institut für Soziale Ökologie. Bisher wurde dabei aufgrund mangelnder Daten ein entscheidender Einflussfaktor, nämlich die Materialbestände, die bereits in Infrastrukturen, Gebäuden und langlebigen Gütern gebunden sind, vernachlässigt. Ein Projekt des Wissenschaftsfonds FWF liefert nun erstmals eine umfassende Abschätzung der Entwicklung dieser globalen Materialbestände. Dadurch können auch deren langfristige Wirkungen auf die Ressourcenflüsse modelliert werden.

Um für die Modellentwicklung Materialbestände und -bedürfnisse besser abschätzen zu können, wirft das Projekt einen weiten Blick zurück: „Noch vor 200 Jahren, in der agrarischen Gesellschaft, war die energetische Basis die Sonnenenergie. Diese wurde Mitte des 18. Jahrhunderts durch fossile Energieträger wie Kohle und später Erdöl abgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Gesamtverbrauch an Ressourcen infolge von Massenproduktion und einem stärker wegwerf-orientierten Konsum dann verdoppelt und verdreifacht“, erläutert Krausmann. Das Verstehen solcher langfristigen Entwicklungen ist wichtig für die empirische Analyse: „Wir untersuchen für verschiedene Weltregionen, wie sich diese Veränderungen im Ressourcenverbrauch in den Materialbeständen niederschlagen und wie diese Bestände wiederum den zukünftigen Ressourcenverbrauch beeinflussen“, so Krausmann.

Das Projekt erfasst in einer globalen Perspektive sowie für elf Weltregionen sämtliche Materialbestände und -flüsse von 1900 bis 2010. In einem sogenannten dynamischen Stock-Flow Modell („MISO-Modell“) werden dabei 65 Materialgruppen differenziert.

Wesentlich dabei: Ein Top-Down Zugang, der Bestandszugänge innerhalb eines vordefinierten Zeitabschnitts beleuchtet und mit der Verweildauer einzelner Materialien kombiniert. So kann der zu erwartende Materialbestand und das Abfallaufkommen zu einem definierten Zeitpunkt berechnet werden und auch das Recyclingpotenzial wird erfassbar. Die Materialbestände und -flüsse werden auf ihren Zusammenhang mit wirtschaftlicher Entwicklung, Wohlstand und anderen Indikatoren hin analysiert. Die daraus resultierenden Beziehungen erlauben dann die Berechnung von Stoffwechselszenarien bis 2050: „In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich bei den weltweiten Materialflüssen die Dominanz von den Industrienationen zu den Schwellenländern – insbesondere Asien – verlagert. Prognosen zukünftiger Verbrauchsmuster sind noch immer rar“, konstatiert Krausmann. Ob die Schwellenländer den historischen Verbrauchsmustern der Industrienationen folgen, wird die Analyse zeigen. Da so eine Berechnung eine Vielzahl von Annahmen benötigt, wird das Modell auch Unsicherheiten systematisch quantifizieren.

Die Ergebnisse des FWF-Projekts werden zu einem tieferen Verständnis des globalen gesellschaftlichen Stoffwechsels beitragen und zeigen, wie eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs von Größe, Art und Lebensdauer der Infrastrukturen, Gebäude und anderer materieller Bestände abhängt. So lassen sich fundiertere Prognosen für die zukünftige Entwicklung des Materialbedarfs, von Abfallmengen sowie Emissionen und Recyclingpotenzialen entwickeln. Für politische Akteurinnen und Akteure sind diese Erkenntnisse von Nutzen, um plausible Reduktionsziele festzulegen und Maßnahmen zur Umsetzung einer nachhaltigen Ressourcennutzung zu planen.

Quelle: FWF