Das Beste aller Universen? Wissenschaft blickt auf Star Trek
An der Alpen-Adria-Universität haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammengetan, um das Phänomen Star Trek durch die Brille ihrer jeweiligen Disziplin zu untersuchen. Das Ergebnis war unter anderem eine Ringvorlesung mit durchgehend gefüllten Hörsälen. Nun ist ein Sammelband mit dem Titel „Set Phasers to Teach! Star Trek in Research and Teaching“ erschienen, der Einblick in die Vielfalt der Perspektiven gibt und selbst eingefleischten Trekkies noch Gelegenheit für neue Denkanstöße bieten soll. Wir haben uns mit den Mitherausgebern Martin Gabriel (Institut für Geschichte) und Wilfried Elmenreich (Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme) zum Interview getroffen. Die ehemaligen AAU-Mitarbeiter Stefan Rabitsch und John NA Brown wurden nachträglich um Stellungnahme gebeten.
Was ist Star Trek? Eine Fernsehserie oder mehr?
Elmenreich: In erster Linie ist es eine Fernsehserie. Daraus wurde ein kulturelles Phänomen, das bis heute fortwirkt.
Wie wurden Sie persönlich zum Trekkie?
Elmenreich: Die ersten Serien mit Kirk waren für mich als Kind altersadäquat einfach strukturiert und ansprechend. Später, als ich dann geistig und körperlich zunehmend wuchs, haben mich die Folgen der „Next Generation“ angesprochen, wo nichts mehr einfach war und Probleme wie Weltraumdiplomatie oder grundlegende Fragen des Zusammenlebens thematisiert wurden. Star Trek eröffnet einfache Zugänge zu philosophischen Fragestellungen, was ich damals bis heute sehr anregend finde.
Gabriel: Ich bin ein wenig jünger, damit war für mich der Zugang mit den Folgen der „Next Generation“ gegeben. Die Serie war in den späten 1980er Jahren bis Mitte der 1990er Jahre das klassische Nachmittagsprogramm des ORF. Später kam dann „Deep Space Nine“ hinzu. Die ersten Folgen mit Kirk hatten für mich schon Patina. Mich faszinierte an den Serien die Strukturiertheit des Universums, in dem die Geschichten spielen, im Gegensatz zu anderen Science-Fiction-Filmen.
Rabitsch: Der “Erste Kontakt” mit Star Trek ist eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen. Ich habe “Raumschiff Enterprise” zum ersten Mal, als ich vier war, gesehen und erinnere mich daran, dass ich mit meinen Freunden im Kindergarten die Abenteuer von Kirk, Spock und “Pille” nachspielte. Seitdem habe ich verschiedene Stadien des Star-Trek-Fanseins durchlebt, welche mich mit Menschen auf der ganzen Welt verbanden und zu neuen Wissensquellen hinführten, um mich schlussendlich mit Star Trek auf wissenschaftlichem Niveau auseinanderzusetzen.
Brown: Mein Vater und ich genossen die Abenteuer der Originalserie und deren Idee von sozialer Gerechtigkeit. Später fand ich andere Menschen im originalen Star-Trek-Fantum, die ähnlich dachten. Als ich 1976 an der ersten Star-Trek-Convention in meiner kanadischen Heimat teilnahm, konnte ich kurz mit einigen der Stars und Autoren sprechen. Ich war begeistert davon, wie sie ihre Fans dazu ermutigten, in ihrem täglichen Leben für die Star-Trek-Ideale einzutreten.
Googelt man nach Star Trek und Wissenschaft, stößt man auf Artikel über Physik, Philosophie, Politik, Ethik, etc. Immer wieder kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort. Wie können Sie sich die Zusammenhänge zwischen der Fernsehserie und der Wissenschaft erklären?
Elmenreich: Es gibt diese Verbindungen auf ganz vielen Ebenen. Mich interessieren nicht nur technische Aspekte, sondern auch Fragen, die sich mit Technologiefolgen beschäftigen: Welche Rechte haben virtuell erschaffene Wesen? Darf man etwas, das offensichtlich intelligent ist und wo nicht einfach erkennbar ist, ob das Bewusstsein simuliert ist, einfach abschalten? Diese Fragen sind auch in der Wissenschaft letztlich ungeklärt und die Herangehensweisen, wie man in den Star-Trek-Episoden damit umgeht, können auch für unsere Welt inspirierend sein.
Gibt es unter WissenschaftlerInnen besonders viele Trekkies? Und inwiefern ist wissenschaftliches Denken für die Star-Trek-Geschichte wichtig?
Brown: Was für eine wunderbare Frage! Wissenschaft nimmt ihren Ausgang immer durch Imagination und Kreativität, und wandelt diese Fantasien in Realität um. Das momentan Unmögliche wird vom Möglichen getrennt durch die rigorosen und sorgfältig-erdachten Methoden von Karl Popper. Da die wissenschaftliche Methode uns immer dazu auffordert, unsere besten Ideen zu widerlegen, müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler optimistisch sein. Während ich also glaube, dass es viele Trekkies unter den WissenschaftlerInnen gibt, bin ich mir sicher, dass es viele WissenschaftlerInnen unter den Trekkies gibt.
Was wurde in Star Trek vorhergesagt, was heute technologisch möglich ist? Und was ist noch immer nicht möglich?
Elmenreich: Automatische Türen gibt es beispielsweise heute schon bei jedem Supermarkt. Und unsere Mobiltelefone sind den Kommunikatoren in der Serie schon voraus. Was schwer realisierbar ist, ist die Fortbewegung im Weltall. Das größte Problem dabei ist die Energie. Ich habe mal ausgerechnet, dass eine normale Beschleunigung der Enterprise mehr Energiereserven verbrauchen würde, als auf der Erde für ein ganzes Jahr zur Verfügung stehen.
Das Star-Trek-Universum, in dem die Vereinigte Föderation der Planeten für ein (halbwegs) friedliches Zusammenleben sorgt, gilt als positiver Gesellschaftsentwurf. Wie hat man es in der Geschichte dorthin geschafft?
Gabriel: Grundsätzlich gilt: Star Trek ist eine Utopie, keine Dystopie, selbst wenn die Figuren immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen geraten. Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft ist ein großer Weltkrieg, der als Beinahe-Katastrophe die Augen der Menschen öffnet. Das Zusammenfinden der Menschheit auf der Erde und dann die Vereinigung mit den anderen Planeten wird als friedliches Lösungsmodell gesehen.
Um wieder nach Parallelen in der nicht-fiktionalen Welt zu fragen: Sehen Sie als Historiker, dass Ähnliches in der Geschichte der Menschheit je passiert ist?
Gabriel: Diesen Durchbruch sehe ich nicht, aber natürlich sind Parallelen zum Zweiten Weltkrieg und zur Gründung der Vereinten Nationen offensichtlich. Gene Roddenberry hat die Geschichte in den 1960er Jahren erfunden und stand damit ganz in der Tradition seiner Zeit.
Inwiefern ist entscheidend, dass der Autor ein US-Amerikaner ist? Was ist „amerikanisch“ an Star Trek?
Rabitsch: Geleitet vom Nachkriegstriumphalismus, einem zentrifugalen Weltbild und dem charakteristischen amerikanischen Sendungsbewusstsein bewarb und verkaufte Gene Roddenberry seine TV-Serie zunächst als „Weltraumwestern“. Orientiert am Beispiel einiger Western in den frühen 1960ern sowie der Plattform von US-Präsident Kennedy bediente sich auch Star Trek dem Frontier- Mythos als Metapher, um sozialkritische Themen aufzugreifen (z. B. Rassenkonflikte, Genderrollen, Interventionskriege, ethische Fragen aller Art, etc.) und in allegorischer Form, an den Zensoren vorbei, zu behandeln. Die allegorische Prämisse ermöglichte es, dass Star Trek über Jahrzehnte hinweg auf die sich verändernden soziokulturellen Kontexte in den USA sowie der restlichen Welt in science-fictionaler Form reagiert.
Der Untertitel Ihres Buches lautet „Star Trek in Research and Teaching“. Können Sie ein Beispiel nennen, wo Sie in Ihrer Lehre eine Verbindung zu Star Trek herstellen können?
Elmenreich: Bei mir geht es ja im weitesten Sinne um Energiesysteme. Meine Studierenden sollen dabei gewisse Größen abschätzen lernen. Das kann man gut an folgendem Beispiel demonstrieren: Die Schiffe in der Föderation sind in der Serie üblicherweise hell erleuchtet. Man könnte meinen, das wäre Unsinn, weil sie – abhängig von einem autonomen Energiesystem – Energie sparen müssten. Meine Studierenden rechnen nun aus, wie hoch der Energieaufwand für das Licht im Verhältnis zum Gesamtantrieb ist, und sehen, dass das Licht nur marginal wenig Energie verbraucht.
Und was unterrichten Sie mit Hilfe von Star Trek?
Gabriel: Beispielsweise lässt sich vieles zum Frontier-Mythos in der US-amerikanischen Geschichte, zu dem ich vor einiger Zeit eine Lehrveranstaltung angeboten habe, gut mit Star Trek erzählen. Ansonsten bietet Star Trek viele Anekdoten, die die Lehre auflockern.
Rabitsch: Für mich sind die Ziele und Ideale von guter humanistisch geprägter wissenschaftlicher Praxis zentral in der Welt und im Weltbild von Star Trek verankert: Es regt zum kritischen, kulturellen, historischen sowie historiografischen Denken und Verstehen an, um in weiterer Folge jedweden Status Quo in Frage zu stellen. Star Trek setzt menschliche Existenz der Maxime von Immanuel Kant—sapere aude—gleich. Kurz gesagt: Das Hinarbeiten auf und das Erreichen von Antworten ist gut, aber wissen wollen ist entscheidend.
Wie geht es mit Star Trek weiter?
Gabriel: Die Basis sind die rund 700 Folgen, die von 1965/66 bis jetzt ausgestrahlt wurden. Diese bilden das von Gene Roddenberry geschaffene Universum ab, wobei er selbst in den 1990ern gestorben ist und seither viel darüber diskutiert wird, wie man neue Geschichten in das bisher Erzählte einbetten kann. Das Potenzial wäre auch heute noch groß, nicht zuletzt aufgrund des sich stark weiterentwickelnden Serienformats insgesamt. Die Zahl der Geschichten, die man erzählen könnte, wäre ähnlich endlos wie das Universum selbst. Schließlich stellt jede Zeit ihre eigenen Fragen.
Zum Buch
Seit mehr als 50 Jahren ist Star Trek eine Inspiration für seine Fans in aller Welt. Die Serie lässt von einer besseren Zukunft träumen. Diese Inspiration ist in unsere Kultur eingegangen und hat dazu beigetragen, zahlreiche Technologieentwicklungen des frühen 21. Jahrhunderts voranzutreiben.
Die Beitragenden zu diesem Band sind ForscherInnen und Lehrende aus einer breiten Palette von Disziplinen: Astrophysik, Ethnologie, Englisch, Geschichte, Medizin, Videospiele, reichend von Amerikanistik bis hin zur Informatik. Den Autorinnen und Autoren ist gemeinsam, dass eine der vielen Star-Trek-Versionen inspirierend auf sie wirkte, nicht nur was das Träumen über eine zukünftige Welt betrifft, sondern auch für die Art, wie sie in der „realen Welt“ arbeiten und lehren.
Die Einleitung zum Buch bietet Hinweise auf Star-Trek-Filme und Fernsehserien. Jedes der 15 Kapitel gibt Einblicke in Forschung und Lehre der entsprechenden Fachrichtungen, illustriert mit originalen Bildern und bezugnehmend auf das Star-Trek-Universum. Eine Auflistung der Serienepisoden und Filme befindet sich im Anhang am Ende des Buches.
Zu den Personen
Stefan „Steve“ Rabitsch ist Assistenzprofessor am Institut für Amerikanistik an der Universität Graz und er unterrichtet zu amerikanischer Kulturgeschichte an der Universität Klagenfurt. Als selbsterklärter „Akademischer Trekkie“ wird er 2018 bei McFarland seine erste Monographie zu „Star Trek and the British Age of Sail“ veröffentlichen. Er ist Mitherausgeber von „Fantastic Cities: American Urban Spaces in Science Fiction, Fantasy, and Horror“ (UP Mississippi, 2018). Außerdem ist er mitgründendes Mitglied des Editorial Board von “JAAAS: Journal of the Austrian Association of American Studies”. Seine Forschungsschwerpunkte sind American Cultural Studies und Science Fiction Studies in allen Medien. Sein laufendes Habilitationsprojekt erhielt das Fulbright Visiting Scholar Grant in Amerikanistik für 2018/19.
Martin Gabriel studierte Geschichte an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Österreich). Er ist Mitglied des Instituts für Geschichte seit 2008 und lehrt dort seit 2012. Seine Forschungs- und Lehraktivitäten konzentrieren sich auf Imperialismus (vorwiegend Österreich-Ungarn, Großbritannien, Spanien, USA), Kolonialkriege sowie Sozial- und Kulturgeschichte in der Zeit von 1600 bis 1890.
Wilfried Elmenreich ist Professor für Smart Grids am Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme an der Universität Klagenfurt (Österreich). Er studierte Informatik an der Technischen Universität Wien, wo er 2002 sein Doktorat und 2008 seine Habilitation im Bereich „Technische Informatik“ abschloss. Er ist Herausgeber und Autor von mehreren Büchern und veröffentlichte über 150 Artikel zu vernetzten und eingebetteten Systemen. Elmenreich ist Mitglied des Senats der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Senior Member von IEEE und Berater des Klagenfurter IEEE student branch. Seine Erdös-Zahl ist 3.
John N.A. Brown hat an vielen Plätzen dieser Welt gearbeitet und unterrichtet, derzeit lebt er in Silicon Valley. Er ist ein Erfinder, Designer und Forscher spezialisiert auf „Human Factors and the User Experience“. Sein Zugang zur Interaktion zwischen Mensch und Computer basiert auf der Anwendung achtsamer und sachkundiger Iteration zur Gestaltung von Werkzeugen, die den menschlichen Fähigkeiten und Einschränkungen entsprechen. Schließlich können wir es uns nicht leisten, jene generationenübergreifenden Prozesse von Evolution und Adaption abzuwarten, die auf natürlichem Wege sowohl wirksame als auch komfortable Werkzeuge erzeugen. Dr. Brown nennt diesen Zugang “Anthropology-Based Computing”.