Filmindustrie und staatliche Filmförderung: „Die erste Kopie ist die Teuerste.“
Filme und deren Verwertung sind ein großes Geschäft, an dem – insbesondere in kleinen Film-Ländern wie Österreich – auch der Staat mit seinen Förderungen einen entscheidenden Anteil hat. Wir haben mit dem Medien- und Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin über Globalisierung in der Film-Branche, staatliche Interessen und Förderinstrumente sowie den Wandel in der Verwertungskette von Filmen gesprochen.
Wie ergeht es denn der Filmindustrie aktuell – global bzw. hierzulande?
Global geht es der Filmindustrie gut. Wir sehen an den Produktionen, die Hollywood und Bollywood hervorbringen und die heute auch z. B. über Netflix, Sky und HBO Verbreitung finden, dass sowohl der unterhaltende Film als auch die Dokumentationen weiterhin ein gutes Geschäft sind. Hierzulande hingegen haben wir zwei Probleme: Einerseits gibt es die Beschränkung auf den – relativ gesehen – kleinen deutschsprachigen Markt und andererseits sind für den hiesigen Film regionale Spezifika und regionale Drehorte sehr wichtig, rechnen sich aber für den internationalen Markt nicht.
Noch immer liest man häufig in den Medien, dieser oder jener Blockbuster habe in den ersten Wochen soundso viele Millionen Dollar an den Kinokassen eingespielt. Entsprechen diese Darstellungen tatsächlich dem Medienkonsum der ZuseherInnen und inwiefern stellen Streaming-Anbieter wie Netflix oder Amazon Prime eine Gefahr für dieses Geschäftsmodell dar?
Die Verwertungsketten von Filmen haben sich verändert, aber ich würde sagen: Es gibt keinen totalen Umbruch. Früher war die klassische Verwertungskette so gestaltet: Ausspielung im Premierenkino, Kopien in den Cinecenters, dann der Release am Sekundärmarkt – früher war das der DVD-Verkauf, dann PayTV, dann die Ausstrahlung in der Primetime im FreeTV und schließlich die diversen Wiederholungen im Fernsehen. Je nach Film dauerte diese Verwertungskette bis zu 2 Jahren. Das hat sich verkürzt. Bei Netflix und Amazon Prime bezahlt man eine Flatrate für Content, das ist neu und da kommen auch sehr viele Filme schneller und oft direkt – also ohne Kinovorlauf – an das Publikum. Der klassische Ablauf ist dadurch aber nicht obsolet geworden, sondern es ist etwas hinzugekommen.
Rechnen sich Ihrer Meinung nach die Geschäftsmodelle der Streaming-Anbieter langfristig?
Man wird sehen, derzeit sieht es aber danach aus, dass diese Modelle funktionieren. Wir beobachten ja auch, dass sich durch Angebote wie HBO oder Netflix die Erzählformen verändert haben. Das neue Format ist die Serie, die mitunter auch staffelweise in Form von Binge Watching als Serienmarathon konsumiert wird. Das hat mit normalem Kinoverhalten nichts mehr zu tun, scheint dieses aber auch nicht zu ersetzen.
Europäische Film- und Fernsehproduktionen scheinen es in diesem Geschäft schwieriger zu haben, sich ökonomisch durchzusetzen. Die staatliche Filmförderung ist hier gefragt. Warum hat Ihrer Meinung nach der Staat ein Interesse zu unterstützen?
In Europa zeigt sich sehr deutlich der Doppelcharakter von Film als Kultur- und Wirtschaftsgut. In der Produktionswirtschaft hängen eine Menge Arbeitsplätze an der regionalen Filmindustrie, daher gibt es in Österreich auch das Film- und Fernsehabkommen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie das österreichische Filminstitut, das für die Fördermittel in dem Bereich zuständig ist. Darüber hinausgehend kann der Film auch andere wirtschaftlich relevante Faktoren wie die Tourismuswirtschaft beeinflussen, indem attraktive Orte über Filme präsentiert werden. Als Kulturgut kann der Film regionale kulturelle Spezifika deutlich machen, was zwar für den internationalen Markt nicht wirklich wirtschaftlich tragbar, aber dennoch von hoher Relevanz für den hiesigen Raum ist.
Wie wird europaweit Filmförderung betrieben?
Das ist in den verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedlich und abhängig vom Mediensystem, der Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und anderen Förderquellen. In Österreich sehen wir, dass es zu den wichtigsten Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört, die heimische Produktiv- und Kreativwirtschaft zu fördern. Anderswo gibt es hier andere Zielsetzungen. Auf der EU-Ebene gibt es mit EURIMAGES und dem europäischen Filmförderungsprogramm MEDIA auch Instrumente, die sich um eine Unterstützung des europäischen Films bemühen. Aber – wie überall in Europaagenden sehen wir – es gibt und braucht immer beides: eine große europäische Strategie, aber auch die regional spezifische und kleinteilige Strategie.
Gibt es – trotz des sprachlichen Nachteils – auch österreichische Exportschlager?
Ja, Beispiele dafür gibt es, und die sind oft auch verwunderlich. So lässt sich die ORF-Produktion „Vier Frauen und ein Todesfall“ beispielsweise erstaunlich gut in China verkaufen – trotz vieler regionaler Spezifika. Dafür, wie klein Österreich ist, ist unser Film international sehr erfolgreich. Filme sind aber eine Economy-of-Scale-Industrie: Ich mache einen Film, der einen bestimmten Betrag X kostet. Je mehr Menschen diesen Film sehen, desto günstiger sind die Durchschnittskosten. Das Teuerste am Film ist die erste Kopie. Man braucht kein Mathematiker zu sein um zu verstehen, dass ein englischer Film einfach ein viel größeres zumindest potenzielles Publikum erreicht, als es ein deutscher, skandinavischer oder ungarischer Film zu tun vermag. Der US-amerikanische Film kann daher schon von vornherein höhere Ausgangsinvestitionen tätigen, sowohl was die Ausstattung als auch die digitale Nachbearbeitung betrifft. Und: Wirkliche Weltstars werden immer noch in Hollywood geboren, bzw. für den asiatischen Raum in Bollywood. Von Europa aus ist es viel schwerer, aber freilich nicht unmöglich, Weltgeltung zu erlangen.
Wie sehr ist die Filmindustrie dann überhaupt ein globales Geschäft?
In der Tat kann man von einer Globalisierung, was Unterhaltung und Film betrifft, nicht so einfach und pauschal sprechen. Wir haben in einem anderen Projekt die Flüsse zwischen den Regionen dieser Welt untersucht und sehen dabei, dass der asiatische Raum, die USA und Europa gar nicht so sehr im Austausch sind, wie man das vermuten möchte. Wir importieren beispielsweise sehr wenige Filme aus Asien, mit Ausnahme weniger Bollywood-Blockbuster. Höchstwahrscheinlich stimmt die Vermutung, dass gerade Filme doch sehr stark kultur- und mediensystematisch gebundene Produkte sind. Insofern findet Austausch innerhalb ähnlicher Kulturen (wie z. B. Europa und Nordamerika) statt, aber nur in Ausnahmefällen global. Man denke an diverse religiöse und politische Tabus im arabischen Raum oder Zensurproblematiken, die den chinesischen Markt betreffen.
Zum Buch
Murschetz, P.C., Teichmann, R. & Karmasin, M. (Eds.) (2018). Handbook of State Aid for Film. Finance, Industries and Regulation. Berlin: Springer.
This book is an analysis of the specificities of public film funding on an international scale. It shows how public funding schemes add value to film-making and other audio-visual productions and provides a comprehensive analysis of today’s global challenges in the film industry such as industry change, digital transformation, and shifting audience tastes. Based on insights from fields such as cultural economics, media economics, media management and media governance studies, the authors illustrate how public spending shapes the financial fitness of national and international film industries. This highly informative book will help both scholars and practitioners in the film industry to understand the complexity of issues and the requirements necessary to preserve the social benefits of film as an important cultural good.
Zur Person
Matthias Karmasin ist Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität sowie Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften und der AAU und seit 2011 korrespondierendes Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW. Jüngst hat Matthias Karmasin zwei weitere Aufgaben übernommen: So ist er seit Juni 2018 stellvertretender Vorsitzender der Publizistikförderung der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH sowie ebenso seit Juni 2018 im Vorstand des Presseclubs Concordia. Die Concordia versteht sich als unabhängige und zukunftsorientierte Standesvertretung des Journalismus, aber auch als Verfechterin der journalistischen Ethik, die sich aus aktuellem Anlass immer wieder zu Wort meldet.
Matthias Karmasin ist Autor/Herausgeber von über 50 Büchern, hat mehr als 200 wissenschaftliche Aufsätze verfasst und mehr als 300 wissenschaftliche Vorträge im In- und Ausland gehalten.