Digitalisierung

„Digitale Medienereignisse lassen uns sehr schnell zu einem kollektiven digitalen Dorf werden.“

Katrin Döveling leitet die internationale Tagung „Global Mediatization Research and Technology. Findings, Challenges and International Perspectives in the Digital Age“, die von 19. bis 21. April 2018 an der Alpen-Adria-Universität stattfindet. Daran teilnehmen werden Forscherinnen und Forscher aus aller Welt, unter anderem aus China, Australien, USA und weiten Teilen Europas. Im Interview erklärt sie, warum sie es für essenziell hält, das Thema der Digitalisierung und den Einfluss der digitalen Medien auf sämtliche Bereiche des Lebens breiter zu diskutieren.

Inwiefern ist Ihr Tagungsthema aktuell relevant?

Die Digitalisierung betrifft uns alle, auf verschiedenen Ebenen: Auf der Mikroebene, also individuell, bin ich betroffen, wenn ich zuhause meinen Kalender auf meinem Smartphone checke. Die Digitalisierung beeinflusst auf einer Mesoebene unsere Gruppenprozesse und –strukturen. Zum Beispiel können sich Kolleginnen und Kollegen über Skype-Gruppen austauschen. Auf einer Makro-Ebene, also gesamtgesellschaftlich und global betrachtet, hat die Digitalisierung ebenfalls extreme Auswirkungen. Beispiele sind die Wahlen in den USA und die immer wieder kolportierte Rolle Russlands dabei, aber auch Krisenherde, Anschläge, Bürgerbewegungen. Durch digitale Kommunikation begegnen Menschen einander zeit- und raumunabhängig. Quasi in Echtzeit kann man tweeten, liken und teilen. Das beeinflusst uns alle und wirkt auf unser Leben zurück.

Sie wollen das Globale in den Blick nehmen. Warum ist das so wichtig?

Die meisten Studien, die es zu den Auswirkungen der Mediatisierung gibt, befassen sich mit einem Land bzw. einer bestimmten Kultur. Ich will aber wissen: Wie können wir angesichts der zunehmenden globalen Digitalisierung kulturübergreifend und –vergleichend weiterdenken? Dazu möchte ich mit den Kolleginnen und Kollegen, die aus aller Welt zur Tagung anreisen, weiterdenken.

Gibt es so etwas wie eine globale Kultur einer digitalisierten Menschheit?

Mit dieser Frage müssen wir uns dringend auseinandersetzen. Gibt es diese Homogenisierungstendenz? Ich vermute sehr stark, dass dies der Fall ist, aber man sollte genauer unter die Lupe nehmen, wann es diese gibt. Obwohl jedes Individuum natürlich von seiner eigenen Kultur geprägt ist, scheint es so, dass vor allem so genannten Medienereignisse global betrachtet ähnliche Reaktionen auslösen. Im Fall von Krisen kann ein Hashtag auch mal sehr schnell durch die ganze Welt wandern. In solchen Fällen werden wir sehr schnell zu einem kollektiven digitalen Dorf, einem Welt-Dorf sozusagen.  Aber auch die Prozesse der Digitalisierung im Alltag in unterschiedlichen Ländern zeigen ähnliche kulturübergreifende Tendenzen, etwa permanent online sein zu müssen, durch den Einfluss von Facebook, Twitter, WhatsApp und Co.

Wachsen wir nur zusammen oder gibt es auch Grenzen?

Mit dieser Frage wollen wir uns bei der Konferenz auseinandersetzen. Kollegen aus China werden beispielsweise darüber sprechen, welche politischen Implikationen es diesbezüglich gibt. Gleichzeitig müssen wir den Entwicklungen der Digitalisierung in anderen Bereichen auch Grenzen setzen. Ich denke da zum Beispiel an das Cyberbullying als Problemfeld. Mir ist es sehr wichtig zu fragen: Was passiert mit Menschen im digitalen Raum, die nicht den als ideal angenommenen Normen entsprechen? Online wird sehr viel schneller beleidigt als Face-to-Face.

In einer Ihrer aktuellen Publikationen sprechen Sie von „digitalen Affektkulturen“. Wie erklären Sie sich, dass sich der Einzelne scheinbar so gerne zu kollektiven Gefühlsregungen im digitalen Raum hinreißen lässt?

Bei bestimmten Ereignissen wie Terroranschlägen oder Todesfällen berühmter Persönlichkeiten beobachten wir solche Phänomene sehr stark. Die digitalen Medien vermitteln uns mittlerweile auch Gefühlsnormen: Man hat den Eindruck, man müsse ein Zeichen setzen, weil man ja zu den „guten“ Menschen gehören will. In gewisser Weise hat man bei solchen Ereignissen mitzufühlen oder dieses Gefühl zumindest zu zeigen. Man signalisiert dabei etwas ganz Wichtiges. Eine Vergemeinschaftung, etwas, das für den Menschen rein anthropologisch sogar essentiell ist. Das gemeinsame digitale Zeigen von Betroffenheit und Erschütterung zum Beispiel erfüllt aber auch andere Funktionen: In einer Welt, die zunehmend von omnipräsenten Bedrohungen durch Terror, Klimakatastrophen, Krisenherde und Kriege bedroht ist, bestärken wir uns durch das Internet, dass wir nicht alleine sind. Das kollektive Weltdorf bietet uns einen scheinbaren, aber durchaus gefühlten Schutz, mit dem allen nicht allein zu sein.

Wann haben Sie sich zuletzt gewünscht, in einer weniger digitalisierten Welt zu leben?

In den allermeisten Fällen profitiere ich von dem, was die digitale Technik uns zur Verfügung stellt. Das ist vor allem im Beruflichen der Fall. Als jemand, der sehr gerne und viel arbeitet, stoße ich aber bei der Abgrenzung zum Privaten immer auch mal an meine Grenzen, die durch die Möglichkeiten der Digitalisierung zunehmend verschwimmen. Medienkompetenz erachte ich daher generationsübergreifend als sehr wichtiges Thema. So halte ich es beispielsweise für völlig unnötig, in einem Restaurant das Handy auf den Tisch zu legen, wenn ich mit jemandem gemeinsam esse. Oder sich hintereinander eine sms nach der anderen zu schicken, statt einmal zum Telefon zu greifen.

Wie ergeht es Ihrem Fach, der Medien- und Kommunikationswissenschaft, mit der rasanten Entwicklung der Mediatisierung, die sich durch Digitalisierung verändert? Können Sie mit der Geschwindigkeit mithalten?

Ich glaube, dass wir nah dran sind. Aber: Es ist nahezu unmöglich, alles, was an digital-technologischem Fortschritt passiert, auch zeitnah umfassend zu untersuchen. Denn diese Entwicklungen sind so rasant und die Datenmengen (Thema Big Data) und ihre Auswirkungen auf uns alle sind immens, so immens, dass wir es kaum schaffen werden, einen Gesamtblick zu gewinnen. Aber genau deswegen sollten wir uns alle und zwar auch Disziplinen-übergreifend hiermit beschäftigen und es ist mein persönlicher Ansporn, diese Herausforderung ambitioniert anzugehen und zum Verständnis dessen beizutragen, was sich durch unsere Handlungen mit und in digitalen Medien permanent verändert.

Zur Tagung

Das Programm und die Details zur Tagung „Global Mediatization Research and Technology“ finden Sie unter www.aau.at/gmr

Zur Person

Katrin Döveling studierte Soziologie, Psychologie und Medienwissenschaften, promovierte mit Auszeichnung zum Thema Emotionen und Vergemeinschaftungen im internationalen Vergleich, erhielt ein DAAD-Dissertationsstipendium an die UC Berkeley und eine Auszeichnung für Excellency in Research and Science, (HWP) . Sie habilitierte an der Universität Leipzig im Fach Kommunikations- und Medienwissenschaften. Ihre Forschungsschwerpunkte sind digitale Medien, Medientechnik & -wandel, Globalisierung und Emotionen sowie Online-Medien, besonders neue Formen von Social Networking Sites und digitale Medienkultur(en) im internationalen Kontext.

Döveling Katrin