Frau beim Online-Einkauf

„Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch….“

Ob auf Amazon, Google, Xing oder Facebook – uns werden ständig Dinge, Artikel oder auch Personen vorgeschlagen, die wir kaufen, liken oder mögen könnten. Dahinter stecken Empfehlungssysteme, so genannte Recommender Systems, die Dietmar Jannach (Institut für Angewandte Informatik) nicht nur analysiert, sondern auch verbessern möchte.

Was sind Recommender Systems?
Den meisten werden Empfehlungssysteme von Amazon oder anderen Online-Marktplätzen bekannt sein, aber auch XING oder LinkedIn arbeiten mit Empfehlungen. Ganz allgemein formuliert, geben Recommender Systems Vorschläge für weitere Dinge, die für die Userin oder für den User interessant sein könnten.

Was bezwecken Empfehlungssysteme?
Geht man von einer Zwei-Nutzen-Perspektive aus, sollen diese Systeme sowohl dem Betreiber als auch dem Kunden nutzen. Die Plattform verfolgt das Ziel, mehr zu verkaufen, mehr Aktivität zu erzielen, z. B. bei sozialen Medien, oder sie wollen, dass die KonsumentInnen Neues entdecken z. B. auf Spotify oder Netflix. Der Nutzen auf Kundenseite zeigt sich – positiv formuliert – dadurch, dass man alternative Produkte oder auch Zubehör zu bereits gekauften Produkten findet, aber auch dass man etwas Neues entdeckt.

Wie werden diese Vorschläge generiert?
Die meisten verfügen über wenig personalisierte Möglichkeiten. Eine einfache, aber auch effektive Variante ist die Empfehlung der Top Seller. Bei kollaborativen Systemen bekommen NutzerInnnen Vorschläge, wie „Kunden, die jenen Artikel gekauft haben, kauften auch …“. Im Fall von produktbasierten Anwendungen wird dem Kunden, der ein Produkt kauft, ein weiteres angeboten, das oft in Kombination gekauft wurde. Für diese Arten von Empfehlungen müssen die Plattformen nicht viel über Sie als Person wissen.

Und was wissen Amazon, Google & Co wirklich?
Das kommt darauf an, ob Sie als eingeloggte Kundin auf den Webseiten unterwegs sind oder das erste Mal die Seite besuchen. Aber natürlich wird ausgewertet, was Sie pro Sitzung getan haben. Theoretisch können alle Verhaltensmuster untersucht und zusammengeführt werden, um die Zielgenauigkeit der Empfehlungen zu vergrößern. Es wird aber auch untersucht, was die Benutzergemeinschaft getan hat und was Ihre persönlichen Vorlieben sind.

Werden Daten unter den Anbietern ausgetauscht?
Jeder von uns kennt Werbung, die uns auf unterschiedlichen Seiten „verfolgt“. Hier wird zumindest ausgetauscht, welche Seiten Sie besucht haben. Sie bzw. Ihr Gerät hinterlassen Cookies auf den besuchten Seiten, d. h. die Anbieter erkennen zumindest Ihren Rechner wieder. Viele wissen nicht, dass etliche Werbebetreiber den großen Konzernen wie Google gehören und dementsprechend diese Verfolgung leicht möglich ist. Es ist also kein Zufall, wenn Ihnen die gleiche Werbung an unterschiedlichen Stellen angezeigt wird.

Woran arbeiten Sie mit Ihrer Forschungsgruppe?
Informatik beschäftigt sich sehr oft mit den Algorithmen hinter den Systemen. Wir hingegen versuchen herauszufinden, welche Effekte es unter Realwelt-Gegebenheiten gibt. Wie wirken Empfehlungen auf das Kundenverhalten? Das Problem ist, dass man als Forscher nicht mit realen, sondern meist mit historischen Daten und Simulationen arbeiten muss. Kooperationen ermöglichen uns allerdings, reale Datensätze zu analysieren.

Mit wem haben Sie schon zusammengearbeitet?
Zum Beispiel mit Zalando. So haben wir „echte“ Daten zur Verfügung gestellt bekommen und konnten uns anschauen, was das System empfohlen hat und wann es erfolgreich war. Dafür haben wir Informationen über vergangenes Nutzerverhalten bekommen, natürlich anonymisiert und randomisiert, so dass man keine Rückschlüsse auf das Geschäftsmodell machen kann.

Was haben Sie bei Zalando herausgefunden?
Zalando arbeitet vor allem mit Empfehlungen von Artikeln, die sich UserInnen beim letzten Besuch angesehen haben. Wenn man sich das Klickverhalten der NutzerInnen ansieht, geht nur einer von 100 Klicks auf die Empfehlungsliste. Aber, wenn sie dann auf eine Empfehlung klicken, ist die Konversionsrate sehr hoch, d.h., sie kaufen dann auch eher. Wenn also einmal das Interesse geweckt ist, ist die Kaufwahrscheinlichkeit hoch.

Also sind Empfehlungen aus Anbietersicht erfolgreich?
Zu einem gewissen Grad. Im Fall von Zalando haben wir herausgefunden, dass die Empfehlungen nicht das zentrale Element der Navigation sind. Die NutzerInnen suchen viel über die Kategorien. Wir haben vor Jahren eine Studie durchgeführt, wo wir Seiten von Handyspielen mit und ohne Empfehlungen getestet haben. Die Empfehlungslisten brachten fast vier Prozent mehr Umsatz. Stellen Sie sich vier Prozent mehr Umsatz im Fall von Amazon vor!

Ist die Qualität der Empfehlungen ausschlaggebend?
Gerade bei Musikplattformen sind die Vorschläge wichtig. Wenn viel Musik gespielt wird, die mir nicht gefällt, nutze ich den Dienst vielleicht nicht mehr. In anderen Anwendungsbereichen, wie im E-Commerce, kann die Sache aber weniger wichtig sein und einzelne schlechte Empfehlungen sind nicht schlimm. In einer kleineren Studie haben wir beispielsweise Testpersonen eine von uns manipulierte Amazon-Seite vorgesetzt, auf der wir die Empfehlungen durch unsinnige Vorschläge ausgetauscht haben. Den TesterInnen ist es nicht aufgefallen. Sie sind es anscheinend gewohnt.

Was macht gute Recommender Systems aus?
Wenn ich Star Wars-Fan bin und bekomme nur Vorschläge für Star Wars-Filme, ist das sinnlos, da ich die sowieso ansehen würde. Als UserIn habe ich keinen Nutzen davon. Bei Musik möchte man einerseits die Lieblingskünstler hören, manchmal aber lieber etwas Neues entdecken. Der Kontext des Users oder der Userin ist entscheidend. Daher ist die Frage nach der guten Empfehlung sehr schwer zu beantworten.

Können die NutzerInnen auf die Empfehlungen Einfluss nehmen?
Wir beschäftigen uns unter anderem mit Feedbackmöglichkeiten für KundInnen. Welche Mechanismen können wir den NutzerInnen anbieten, um dem System mitzuteilen, dass die Annahmen über mich falsch sind? Sie haben einmalig ein Geschenk gekauft, z. B. Kinderspielzeug, und bekommen nun nur mehr Vorschläge für Spielzeug. Auf Amazon beispielsweise sehen die KundInnen, warum sie welche Vorschläge bekommen, und können melden, was nicht mehr für Empfehlungen genutzt werden soll. Diese Funktionalität gibt es, aber keiner kennt sie.

Bei vielen Recommender-Systemen möchte man meinen, das Ziel sind nicht die besten Empfehlungen.
Empfehlungen sind auch immer eine Balance zwischen dem Kundeninteresse und den Interessen der Anbieter. Netflix empfiehlt nicht unbedingt die Serien, die dem Kundenwunsch entsprechen, sondern vor allem auch Serien, die von Netflix selbst teuer produziert wurden. In der akademischen Forschung gehen wir immer davon aus, das Beste für die KundInnen zu entwickeln. In der Realität kann es aber durchaus sein, dass beispielsweise die ersten beiden Positionen der Empfehlungsliste durch Sponsoring belegt werden.

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield

 

Zur Person

Dietmar Jannach ist seit Oktober 2017 Universitätsprofessor für Wirtschaftsinformatik am Institut für Angewandte Informatik. Bis zu seiner Berufung an die AAU war er seit 2008 Stiftungsprofessor am Lehrstuhl für „Dienstleistungsinformatik“ an der TU Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte  sind Spreadsheet Research und Recommender Systems.

Jannach Dietmar | Foto: aau/photo riccio