UMWELT | Foto: Giacomo Parrinello

Die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart zu verstehen

652 Kilometer schlängelt sich der längste Fluss Italiens von den Alpen bis zur Adria. Seine Geschichte gibt Aufschluss darüber, welche Rolle die zentrale Ressource Wasser in unserer Gesellschaft spielt bzw. spielte.

Der Po und sein Einzugsgebiet beherbergen eine der wichtigsten Industrieregionen der EU, und dennoch wurde die historische Entwicklung dieses Gebiets noch nicht umfassend erschlossen. Wie der Umgang mit Wasser sich dort entwickelt hat, ist eine zentrale Frage eines Forschungsprojekts am Institut für Soziale Ökologie. „Mein Interesse liegt darin, herauszufinden, wie sich Wassernutzung und -kreislauf in dem Flussgebiet des Pos in den vergangenen 150 Jahren verändert haben“, erzählt Giacomo Parrinello. Der Umwelthistoriker erforscht seit zwei Jahren die Geschichte der Po-Ebene als Beispiel für die Entwicklung einer urbanindustriellen Gesellschaft in Europa aus umweltpolitischer Sicht.

Die Po-Ebene ist das größte Flussgebiet Italiens. „Das Einzugsgebiet des Pos ist also ein perfektes Beispiel dafür, wie ein Wassersystem sich durch Urbanisation und Industrialisierung verändert“, erklärt Parrinello. Was in seiner Arbeit bereits deutlich wurde, ist die Besonderheit dieser Region: „Die meisten Veränderungen sind nicht im Fluss selbst geschehen, sondern in den zahlreichen Nebenflüssen und angrenzenden Gebirgen. Diese waren den größten Neuerungen – beispielsweise durch den Bau von Wasserkraftwerken – ausgesetzt. Das bedeutet, der Fluss wurde indirekt verändert, indem seine Umgebung verändert wurde.“

Bei seiner Analyse erhebt Parrinello die Entwicklung der unterschiedlichen Nutzungsformen des Flussgebiets. Dazu gibt er einen Überblick über alle Wassernutzungsarten seit 1860, z. B. Wasserkraftwerke, Aquädukte, Abwasser- und Bewässerungskanäle, Entwässerungsanlagen u. Ä. Mithilfe von offiziellen Unterlagen von Behörden dokumentiert Parrinello auch die Frage, wie die Wassernutzung in der Po-Ebene reguliert wurde und welche Konflikte es zwischen Nutzern gab. „Die Analyse wissenschaftlicher Literatur der Vergangenheit und Gegenwart hat mir außerdem geholfen zu verstehen, wie sich die Betrachtungsweise des Wassersystems über die Zeit verändert hat. Denn die Art, das Wassersystem zu verstehen, beeinflusst die Art, dieses System zu nutzen“, so Parrinello.

Für Parrinello ist dabei ein Aspekt besonders wichtig, nämlich die Verflechtungen einzelner Nutzungsformen. „Das heutige System der Wassernutzung verbindet unterschiedliche Nutzer in vielen verschiedenen Arten miteinander. Eine Klimaanlage in Bologna ist so mit einem Reisfeld in Vercelli verbunden. Es muss uns bewusst werden: Alle verwenden dasselbe Wasser!“

Problematisch ist nur, dass wir davon ausgehen, dass Wasser im Überfluss vorhanden ist. Mit dem Klimawandel und den Auswirkungen auf die alpinen Gletscher wird Wasser immer knapper. Parrinello
erklärt dazu: „Das Fehlen von Wasser wirkt sich auf zahlreiche Bereiche aus: auf die Energieerzeugung, die Landwirtschaft, die städtische Kanalisation usw. Das macht deutlich, wie die unterschiedlichen
Wassernutzungen ineinandergreifen. Daher ist es wichtig, die Vergangenheit zu kennen, weil wir so die Gegenwart verstehen.“ Wenn wir die Verflechtungen dieses Systems kennen, ist Parrinello überzeugt, dass wir auch fundiertere Entscheidungen für die zukünftige Wassernutzung treffen können.

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield

Zur Person

Der Umwelthistoriker Giacomo Parrinello arbeitet im Zuge eines Marie-Curie- Forschungsstipendiums am Projekt „WATER AND TRANSITION – Flusslandschaften und Wassernutzung am
Übergang zur Urban-Industriellen Gesellschaft: Eine Umweltgeschichte des Einzugsgebietes des Po von 1860–2000“. Nach einem zweijährigen Aufenthalt an der Louisiana State University forscht er seit Juli 2015 am Institut für Soziale Ökologie am Wiener Standort der AAU. Web: giacomoparrinello.wordpress.com