Hermann Broch. Die Wiener Bibliothek
Zur Bedeutung und Rezeption Hermann Brochs:
Der jüdisch-österreichische Schriftsteller und Exilautor Hermann Broch (1886-1951) war nie ein Publikumsliebling, ein typischer Schulautor oder eine Figur nationaler Repräsentanz. Aber er zählt mit seinen Romanen zu den international renommiertesten Autoren der klassischen Moderne. Darüber hinaus war er an Diskursen wie Postkolonialismus, Menschenrechte, Globalisierung vordenkend beteiligt.
Broch hat ein beachtliches Werk an politischen und massenpsychologischen Schriften hinterlassen, in denen es um eine ethische Neubegründung der Menschenrechte geht, z. B. den Entwurf eines »Gesetzes zum Schutz der Menschenwürde« und das Plädoyer für einen Internationalen Gerichtshof der UNO. Er war von der universellen Gültigkeit der Menschenrechte überzeugt, und seine Stimme sollte heute angesichts der Relativierung dieser Position nach wie vor gehört werden.
Seine politische Kritik, wie er sie in Romanen und theoretischen Schriften äußert, ist auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod aktuell.
Broch lesen heißt, mit den Problemen unserer Zeit konfrontiert zu werden, mit Fragen der ethischen, religiösen und mythischen Grundlegung unserer Kultur wie auch mit den komplexen menschlichen Beziehungen.
In seinem Todesjahr wurde Broch von einigen Freunden und literarischen Gesellschaften für den Nobelpreis vorgeschlagen.
Zu den zahlreichen Intellektuellen, die Brochs Werk schätzten und über ihn geschrieben haben, zählen Maurice Blanchot, Erich von Kahler, Hannah Arendt, George Steiner, Villy Sørensen, Milan Kundera, Elias Canetti.
In Thomas Bernhards Roman Auslöschung ist Brochs Esch oder Die Anarchie eines von fünf Büchern, die der Erzähler seinem Schüler empfiehlt.
(zit. nach „Hermann Broch. Politik, Menschenrechte – und Literatur?. Hrsg. von Thomas Eicher, Paul Michael Lützeler, Hartmut Steinecke. – Oberhause. Athena 2005
Hermann Brochs Wiener Bibliothek
Am 13. März 1938, dem Tag nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich wurde der österreichische Schriftsteller Hermann Broch (1886-1951) in Bad Aussee verhaftet und inhaftiert. Der Briefträger hatte ihn als Leser der linken Zeitschrift Das Wort denunziert. Nach seiner Freilassung floh Broch „mit bloß 20 RM in der Tasche“ aus Österreich und gelangte mit der Hilfe Thomas Manns und Albert Einsteins in die USA. Seine Bibliothek, aufgeteilt auf zwei Standorte, blieb in Wien zurück.
1951 gelang es dem Sohn Brochs, einen Teil der Bücher in die USA zu verschiffen, da der mittellose Hermann Broch sie einer Universität stiften wollte – im Tausch gegen eine Anstellung oder eine Wohnung. Während die Bücher auf dem Atlantik waren, starb Broch.
Über den Buchhändler Theo Feldmann, auch er ein jüdischer Exulant aus Wien – und ein alter Bekannter Brochs, gelangten die mehr als zweitausend Bände aus den Bereichen Philosophie, Geschichte, Soziologie, Psychologie, aber auch Literatur und Kunstgeschichte an die Library for Political Studies in New York.
Gründer und Financier dieser Bibliothek war Joseph Buttinger (1906-1992), der als Vorsitzender der ‚Revolutionären Sozialisten‘ einer der wichtigsten Akteure der österreichischen Sozialdemokratie nach dem Verbot der Partei 1934 gewesen war. Auch er emigrierte in die USA, absolvierte dort ein Studium und etablierte sich mit zahlreichen Publikationen als Ostasien-Experte (darunter eine mehrbändige Geschichte Vietnams). Seine Library for Political Studies war eine Spezialsammlung zur sozialpolitischen und sozialhistorischen Entwicklung im deutschsprachigen Raum seit dem 19. Jahrhundert. Buttinger wollte mit dieser Bibliothek dokumentieren, was die Nationalsozialisten auch auf geistigem Gebiet zerstört hatten. Da Buttinger keine direkten Nachkommen hatte schenkte er 1971 ca 44.000 Bände seiner Bibliothek der neugegründeten Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt – darunter auch die Broch-Bibliothek.
Das kommentierte Verzeichnis des rekonstruierten Bestandes
Der Bibliothekar Helmut Grote und der Literaturhistoriker Klaus Amann haben 1986-1989 die Broch-Bibliothek aus den Beständen der Buttinger-Bibliothek rekonstruiert und akribisch sämtliche handschriftlichen Lektüre- und Bearbeitungsspuren Hermann Brochs in den Bänden seiner ‚Wiener Bibliothek‘ dokumentiert. Das daraus entstandene kommentierte Verzeichnis dokumentiert das Netz an philosophischen und theoretischen Bezügen, die Hermann Brochs Werke mit dem abendländischen Denken seit der Antike verbinden. Die Ausstellung präsentiert Kostbarkeiten der Broch-Bibliothek und verweist damit auch auf die große Kostbarkeit Buttinger-Bibliothek.
Die „Wiener Bibliothek“ Hermann Brochs kommentiertes Verzeichnis des rekonstruierten Bestandes Klaus Amann ; Helmut Grote. – Wien [u.a.] : Böhlau , 1990
Da sich in vielen der Büchern Brochs Arbeits- und Gebrauchsspuren finden, werden diese durch ein System von Auswertungssiglen erfasst und in ihrer Intensität quantifiziert.
beispielhaft S. 115: Eintrag zu Husserls Logischen Untersuchungen mit dem Hinweis auf die Beilage: B. E/N [ein Blatt einseitig beschrieben]
Eigentumsvermerke Brochs
Eigentumsvermerke Brochs in seinen Büchern sind nicht sehr häufig und völlig unsystematisch vergeben; hier drei Beispiele für eigenhändige, handschriftliche Besitzereinträge:
In 75 Bänden konnte Brochs Blindstempel-Exlibris gefunden werden:
Ein einziges Mal findet sich eine handschriftliche Widmung:
Das Verzeichnis von Ea von Allesch
Unerlässlich für die Rekonstruktion der Broch-Bibliothek durch Amann und Grote in Klagenfurt war das in Yale verwahrte Verzeichnis, das Brochs Freundin Ea von Allesch 1938 für einen potentiellen Verkauf der Bibliothek angelegt hatte.
Allesch, Ea von, 1875-1953:
Verzeichnis der Bibliothek Hermann Brochs / Ea von Allesch.
37, 11 gez. Bl. maschinschriftlich. – Wien , 1938.
Es ist eine im Durchschreibeverfahren vervielfältigte alphabetische Liste philosophischer Titel und Mathematica mit handschriftlichen Ergänzungen und einem maschinschriftlichen Nachtrag.
Die meisten Blätter tragen den Stempel der „österreichischen Zensurstelle Wien“.
In einem Brief an Prof. Amann berichtet Hermann Friedrich Broch de Rothmann, der Sohn Brochs, über das Zustandekommen des Verzeichnisses, die Zensurstempel von 1938 und Nachträge seinerseits aus dem Jahr 1951.
Arbeits- und Gebrauchsspuren Brochs
Brochs intensive Auseinandersetzung mit den Texten zeigen seine vielen Marginalien, beigelegten Exzerpte, Querverweise, Anstreichungen, Anmerkungen, Randnotizen und Notate auf Beilagen:
Als Beispiele für Notizen Brochs am Vorsatzblatt, im Text und eine Beilage (ein Blatt einseitig beschrieben mit Brochs Kommentar) in
Husserl, Edmund, 1859-1938:
Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis.
2., umgearb. Aufl., XI, 508 S. – Halle a.d.S.: Niemeyer, 1913.
(Logische Untersuchung. 2,1.)
I BR 59287
Anstreichungen und Beilagen (2 Blatt gefaltet, 6 Seiten handschriftlich beschrieben mit Kommentaren Brochs) in:
Hartmann, Eduard von, 1842-1906:
Die moderne Psychologie : eine kritische Geschichte der deutschen Psychologie
in der zweiten Hälfte des Neunzehnten Jahrhunderts. – VII, 474.
Eduard von Hartmann’s ausgewählte Werke. 13. – Leipzig : Haacke: 1901
I BR 510546
Notizen Brochs auf dem Vorsatzblatt und Anstreichungen im Text von Natorp, Paul, 1854-1924:
Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Leipzig: Teubner, 1910.
XX, 416 S. – (Wissenschaft und Hypothese ; 12 )
I BR 511314
Brochs Beweisversuch zum Pythagoräischen Lehrsatz nach Teil 1 von Schopenhauer, Arthur, 1788-1860:
Schriften zur Erkenntnislehre. 2. Aufl., neue Ausg. – Leipzig : Brockhaus , 1908
Enthält: 1. Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde.
2. Über das Sehn und die Farben 3. Theoria colorum physiologica.
(Arthur Schopenhauer’s sämmtliche Werke; 1.)
I BR 513202
Neben kritischen Kommentaren zum Text finden sich unter den Beilagen auch Lebenszeugnisse aus dem Alltag Hermann Brochs:
I BR 510.645, Beil. 9
Ein Rezept für „Menthaldragees mit Cocain“
Eine Einladung an den Oberleutnant a. D. Friedrich Broch (den Bruder Brochs) zu einer Flugschau in Aspern mit dem berühmten Flieger Ernst Udet am 24.5.1926.
I BR 511.327, Beil. 12
2 Straßenbahnscheine der New York City Transit Systems vom Juni 1952, also bereits 1 Jahr nach Hermann Brochs Tod.
I BR 506.936, Beil. 16
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